Die Farbe Schwarz


Low-key in der Naturfotografie

von: Karsten Mosebach
Wenn dunkle Farbtöne dominieren, Mittel zur Erzeugung von Stimmungen im Bild sind, spricht man von Low-key-Fotografie. Karsten Mosebach setzt dieses Stilmittel gerne in seinen Bildern ein. Die durch das Überwiegen von dunklen Tonwerten entstehende Reduktion und teilweise auch Abstraktion reizt ihn immer wieder, Naturfotos auf diese Weise zu gestalten. Wie er dabei vorgeht, welche Motive sich dazu besonders eignen, beschreibt er in diesem Beitrag.

Schwarzer Bär und weiße Birke

Langsam wird es richtig dunkel. Ich drehe die ISO-Einstellung auf 8.000, die Blende ist offen, mehr als f/2,8 geht nicht. Trotzdem sind die Belichtungszeiten viel zu lang, um die quirligen Waschbären auch nur annähernd scharf fotografieren zu können. Also ändere ich meinen Plan und fotografiere weiter mit starker Unterbelichtung. Mit einer Belichtungskorrektur von -2 Lichtwerten erreiche ich immerhin 1/80 Sekunde – genug, um zumindest einige schar­fe Fotos zu bekommen. Auch das eigentlich helle Sucherbild meiner spiegellosen Kamera erscheint dadurch richtig finster. Zum Glück trägt der Bär eine weiße Gesichtsmaske, die hilft bei der Bildgestaltung.

Später bei der Bearbeitung der Bilder am Computer erhöhe ich den Kontrast noch ein wenig und ziehe die hellen Töne ein gutes Stück nach oben. Weite Teile des Bildes sind nun nahezu komplett schwarz, nur das Gesicht löst sich sanft aus der Dunkelheit heraus. Das Ergebnis gefällt mir. Geheimnisvoll, mysteriös und auch ein wenig neugierig blickt mich der Waschbär an. Irgendwie passt das zur nächtlichen Lebensweise der kleinen Bären. Genau so gerne, wie ich High-key-Bilder fotografiere (»Auch weiß ist eine Farbe« in NaturFoto 7-22), fotografiere ich Low-key-Bilder. Dabei handelt es sich um Bilder, in denen »dunkle Farbtöne vorherrschen«. Und weiter definiert Wikipedia: »Low-key-Fotos werden gezielt knapper belichtet. Dies geschieht allerdings so, dass auch in den Lichtern des Bildes noch Zeichnung ist. Idealerweise enthält das Bild noch einige wenige Stellen, die fast weiß sind.«

Die umgefallenen Birken habe ich auf die gleiche Weise fotografiert. Gegenüber dem Vorschlag des Belichtungsmessers der Kamera habe ich das Totholz um drei Stufen unterbelichtet. Während ich die Bären noch mit einer einigermaßen kurzen Belichtungszeit scharf fotografieren wollte, spielt dieser Aspekt beim Foto der Birken keine Rolle, sie liegen  schließlich bewegungslos, ein scharfes Bild zu erhalten wäre unproblematisch.

Der Reiz von Low-key-Bildern

Der wesentliche Reiz von Low-key-Bildern entsteht durch Reduktion und Abstraktion. Durch die knappe Belichtung gelingt es, störende Elemente in Dunkelheit verschwinden zu lassen. Die Rinde des Baumes, auf dem der Waschbär sitzt, sowie der rechts und links vom Stamm befindliche Hintergrund hätten den Blick vom Kopf des Bären abgelenkt. Die dunkle Belichtung eliminiert fast alle Bildelemente, allein das Gesicht bleibt übrig. Ein ausdrucksstarkes Porträt ist das Ergebnis. Als Betrachter studiere ich sein Gesicht, mein Blick ist konzentriert und kann nicht abschweifen.

Bei den Birken tritt der Waldboden durch die knappe Belichtung in den Hintergrund, die grafische, linienhafte Anmutung der Stämme prägt das Bild. Lediglich die Spitzlichter auf den umherliegenden Blättern stechen zwischen den Stämmen hervor und scheinen wie Sterne am Himmel zu blinken. Um auch noch sämtliche Farbe zu eliminieren, habe ich das Bild nach Schwarzweiß konvertiert. Das Ergebnis ist eine sehr abstrakte Interpretation von Totholz.

Streiflicht

Sowohl beim Waschbärenbild als auch beim Bild der Birkenstämme fällt das Licht diffus auf das Motiv, im ersten Fall war es weit nach Sonnenuntergang, im zweiten Fall entstand das Bild an einem bewölkten Nachmittag. Beide Bilder konnte ich als Low-key-Variante nur umsetzen, weil im Motiv selbst helle Elemente zu finden sind, das weiße Fell und die weiße Rinde. In den meisten Fällen allerdings sind meine Low-key-Bilder tatsächlich sehr kontrastreich und die hellen Bildpartien durchaus fast weiß und werden vielleicht sogar von der Sonne angestrahlt. Jedoch nehmen die beleuchteten Bereiche immer nur einen kleinen Teil der Bildfläche ein.

Immer wieder nutze ich Streiflicht für die Erstellung von Low-key-Bildern. Das geht am besten direkt bei Sonnenaufgang oder -untergang, wenn das Sonnenlicht äußerst flach einfällt. So ist die Drohnenaufnahme der im Wasser stehenden abgestorbenen Birken im Moor entstanden, als die Stämme in den ersten Minuten nach Sonnenaufgang schon angestrahlt, die Wasseroberfläche selbst aber noch im Dunkeln lag. Knapp belichten musste ich allein deswegen, damit die hellen Stämme nicht »ausgefressen« erscheinen.

Die Doppelbelichtung der Eisstrukturen ist ebenfalls im Moor entstanden. Beim Gefrieren muss der Wind immer wieder kleine Wellen auf das wachsende Eis geworfen haben. Das Ergebnis sind kleine, nur wenige Millimeter hohe »gefrorene Wellen«. Die Wellenberge strahlen intensiv im Sonnenlicht, sodass ich drei Lichtwerte unterbelichtet habe. Nun erscheinen die »Wellengipfel« als Spitzlichter, die glatten Flächen dazwischen reflektieren das Licht dagegen kaum und sind durch die Unterbelichtung nahezu vollständig schwarz. Beide Bilder der Doppelbelichtung sind um 90 Grad gegeneinander verdreht. Die Linien der Wellenberge kreuzen sich fast im rechten Winkel.

Streiflicht eignet sich auch hervorragend, um Konturen herauszuarbeiten. Als ich den Eisvogel fotografierte, habe ich mich absichtlich so positioniert, dass der Hintergrund vor allem aus einer dunklen Fläche besteht. Wie bei den Birkenstämmen schlägt auch in diesem Fall die Belichtungsautomatik der Kamera eine vergleichsweise lange Belichtungszeit vor, damit der Hintergrund »korrekt« belichtet wird und eben nicht schwarz erscheint. Durch meine knappe Belichtung tritt nun aber die Kontur des Vogels auf dem dünnen Ast in den Vordergrund, die Farbigkeit des Vogels dagegen spielt eine untergeordnete Rolle.

Hauptmotiv im Schatten

Leicht realisieren lässt sich eine Lichtanordnung, bei der das Hauptmotiv im Vordergrund im Schatten vor einer mehr oder weniger großen Lichtfläche im Hintergrund zu sehen ist. So habe ich beim Buntspecht mein Tarnzelt extra so aufgebaut, dass ich den Vogel als Schattenriss genau vor die kleine Lücke im Blätterdach »setzen« konnte. Die beiden Uferschnepfen dagegen stehen vor Sonnenaufgang am Rand der Wasserfläche, in der sich der Himmel spiegelt. Knapp belichtet erhält das Wasser eine schöne Farbe und die Vögel selbst erscheinen wie Schatten.

Ohne dokumentarischen Anspruch

Wie auch in der High-key-Fotografie geht es in der Low-key-Fotografie nicht um eine dokumentarische Darstellung. Die Libelle beispielsweise ist als solche kaum zu erkennen, die genaue Art erst gar nicht zu bestimmen. Aber das ist mir egal. Das Bild lebt von der grafischen Anordnung der Lichtelemente. Das Licht auf den Flügeln verwischt zu einer in der Dunkelheit lodernden Flamme. Insgesamt ist die dunkle Stimmung im Bild bestens geeignet, um eine mystische Stimmung zu erzeugen.  

Technische Anforderungen

Die einzige technische Anforderung an die Low-key-Fotografie ist schnell genannt: knapp belichten. Darüber hinaus bedarf es keiner besonderen Kamera und keiner besonderen Objektive. Die Bearbeitung der Bilder ist ebenfalls nicht sonderlich aufwändig. Zumeist geht es nur darum, den Kontrast ein wenig zu erhöhen und helle Töne ein wenig heller zu machen.

Allerdings braucht es einiger Übung, einen Blick für geeignete Motive zu entwickeln. So suche ich gezielt nach kontrastreichen Motiven, nach (hellen) Tieren oder Gegenständen vor dunklem Hintergrund. Und nach Motiven, die ich ins Gegenlicht setzen kann. Oder ich versuche mir vorzustellen, wie Streiflicht auf ein Motiv wirken würde.

Gewissermaßen musste ich mir das Sehen neu angewöhnen und es dann wagen, den Belichtungsmesser der Kamera zu ignorieren. Egal, was die Kamera »sagt«, einfach mal die Belichtung ins Minus korrigieren, auch mal vier oder fünf Blendenstufen. Die Tageszeit jedenfalls spielt dabei überhaupt keine Rolle. Low-key-Fotos sind zu jeder Tageszeit möglich.

Karsten Mosebach
...fotografiert seit über 20 Jahren in  der Natur. Die meisten seiner  Motive findet er in der Nähe seiner Wahlheimat, dem Teutoburger Wald. Er ist Autor einer Reihe von Bild­bänden und Artikeln in Fotomagazinen.  | www.karstenmosebach.de