Raubfliegen der Senne


Intensiver Blick auf eine wenig beachtete Insektenfamilie

von: Guido Sachse
Schmetterlinge und Libellen zählen bei Naturfotografen zweifellos zu den beliebtesten Makromotiven. Die heimische Insektenfauna hat aber noch viel mehr zu bieten und wenn man sich erst einmal mit einer Insektenfamilie befasst, kann man sicher sein, viel Neues und Überraschendes zu entdecken. So ging es auch Guido Sachse. Seit einiger Zeit befasst er sich mit den Raubfliegen seiner Heimatregion, versucht sie in ungewöhnlichen Bildern festzuhalten und verbindet sein fotografisches Projekt mit einer Kartierung der lokalen Bestände.

Die Senne ist eine Kulturlandschaft im östlichen Westfalen. Sie liegt an der Westseite des Teutoburger Waldes, zwischen Bielefeld und Paderborn, und erstreckt sich über eine Fläche von 350 Quadratkilometern. Ein großer Teil dieser Landschaft gehört zum Truppenübungsplatz Senne. Zusammen mit den angrenzenden Wäldern blieb hier ein 200 Quadratkilometer großes Gebiet bislang völlig unbesiedelt, so dass  Fauna und Flora nicht durch intensive landwirtschaftliche Nutzung, Bodenversiegelung und Straßenbarrieren beeinträchtigt werden. Das ist im dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen einmalig. Außerhalb dieser Zone tragen zahlreiche kleinflächige Naturschutzgebiete mit einem Mosaik aus Wiesen, Ackerflächen, Trockenrasen, Bächen und Mooren zum Schutz der vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt in der Senne bei. Auf den sandigen, nährstoffarmen Böden haben sich durch die historische Plaggenwirtschaft an vielen Stellen Heideflächen entwickelt. Eichen-, Birken- und Kiefernwälder sind die vorherrschenden Waldformen.  

Im Wehrbachtal

An den niederschlagsreichen Westhängen des Teutoburger Waldes entspringen zahlreiche Bäche, die nach Südwesten abfließen. Auch die Ems hat hier im Naturschutzgebiet Moosheide ihren Ursprung. Der Wehrbach in Schloß Holte-Stukenbrock gehört ebenfalls zu diesem Fließgewässersystem der Sennebäche. Er verläuft durch ein gut ausgebildetes Kastental und wird von einem abwechslungsreichen Baumbestand begleitet. Das Wehrbachtal wurde 1990 unter Naturschutz gestellt und befindet sich mit einigen angrenzenden Wiesen und Ackerflächen größtenteils im Besitz der gemeinnützigen Stiftung Hof Brechmann. Der Landwirt und Naturschützer Gerd Brechmann hat diese Stiftung 2011 gegründet, um die vielfältige Tier- und Pflanzenwelt der betriebseigenen Flächen durch eine ökologische Bewirtschaftung zu erhalten und zu fördern. 

Im Rahmen eines Fotoprojekts hatte ich in den letzten Jahren die Gelegenheit, das Gebiet genauer kennenzulernen und das abwechslungsreiche Artenspektrum dort zu dokumentieren. Die während dieser Zeit entstandenen Fotos kann die Stiftung seitdem für Vorträge und Öffentlichkeitsarbeit verwenden. Dabei kamen mir auch immer wieder Arten vor die Kamera, denen ich bislang nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatte, wie die zahlreichen Schnaken- und Fliegenarten, die den Zweiflüglern zugeordnet werden. Zweiflügler besitzen nur ein voll ausgebildetes Vorderflügelpaar, während die hinteren Flügel extrem verkleinert und zu sogenannten Schwingkölbchen umgeformt sind. Diese Schwingkölbchen werden zur Stabilisierung und Steuerung des Fluges genutzt. Vor allem die räuberischen Fliegenarten, die ich wiederholt bei der Jagd auf andere Insekten beobachten konnte, weckten zunehmend mein Interesse. Ganz besonders beeindruckte mich eine zwei Zentimeter große Fliege mit orange-roten Beinen und dunklen Flügeln. Diese hatte einen Gartenlaubkäfer erbeutet, den sie nun auf dem Blatt eines Adlerfarns in aller Ruhe aussaugte, ohne sich an meinen fotografischen Aktivitäten in unmittelbarer Nähe zu stören. Wie ich später herausfand, handelte es sich dabei um eine Alabasterfliege. Die gehört zur Familie der Raub- oder Jagdfliegen und zählt in Deutschland zu den gefährdeten Insektenarten. 

Giftige Lauerjäger

Raubfliegen sind in Deutschland mit einer relativ überschaubaren Anzahl von etwa 80 Arten vertreten. In Nordrhein-Westfalen konnten bislang 40 Arten nachgewiesen werden. Die meisten Raubfliegen sind mit einer Körperlänge von 15 bis 25 Millimeter relativ groß, es gibt aber auch Arten, die höchstens einen halben Zentimeter messen. Der schlanke Hinterleib ist oft schmaler als der Brustbereich. Die kräftigen Beine mit ihren starken Borsten und zwei langen Klauen an den Endgliedern erleichtern das Fangen und Halten der Beute. Der markante Kopf wird ähnlich wie bei Libellen von zwei großen Facettenaugen eingenommen, mit denen die Jäger ausgezeichnet sehen können. Als Mundwerkzeug dient ein kopflanger Stech- und Saugrüssel, der von kräftigen Borsten – dem sogenannten Knebelbart – umgeben ist. Raubfliegen sind Lauerjäger, die von einem Ansitz aus vorbeifliegende Insekten in der Luft jagen und die Beute meist noch im Flug stechen. Dabei injizieren sie ein tödliches Gift, welches das Körpergewebe zu einem Nahrungsbrei zersetzt. Anschließend werden die Beutetiere an einer geeigneten Stelle im Sitzen ausgesaugt. Die Verdauung findet also – ähnlich wie bei Spinnen – außerhalb des Körpers statt.

Ein neues Projekt

Da Raubtiere – egal ob groß oder klein – grundsätzlich spannende Fotomotive sind, entschloss ich mich, Raubfliegen zum Thema meines nächsten Fotoprojekts zu machen. Zunächst besorgte ich mir sämtliche verfügbare Literatur und recherchierte im Internet. Dabei fand ich heraus, dass der Kenntnisstand über diese interessante Insektenfamilie in Deutschland insgesamt recht unvollständig ist und besonders in Nordrhein-Westfalen große Lücken bei der Bestandserfassung bestehen. Folglich nahm ich mir vor, Raubfliegen nicht nur zu fotografieren, sondern sie auch in der Senne und den angrenzenden Gebieten umfassend zu kartieren. Dadurch sollte das Fotoprojekt einen zusätzlichen Mehrwert erfahren. Ich besprach meine Idee mit der Biologischen Station Kreis Paderborn-Senne, zu deren zahlreichen Aufgaben unter anderem die Schutzgebietsbetreuung sowie die Erhebung und Bewertung wissenschaftlicher Grundlagendaten zu gefährdeten Tieren, Pflanzen und Lebensräumen in der Senne gehört. Die Biologen der Station befürworteten mein Vorhaben und unterstützten mich bei der Kontaktaufnahme zu den Naturschutzbehörden. Da ich natürlich vorhatte, auch die Naturschutzgebiete gründlich zu untersuchen, musste ich bei den zuständigen Behörden Ausnahmegenehmigungen beantragen, um die Flächen auch außerhalb der befestigten Straßen, Wege und Parkplätze betreten zu dürfen.

Im Naturschutzgebiet Augustdorfer Dünenfeld

Anfang Mai lagen alle erforderlichen Genehmigungen der Naturschutzbehörden vor und ich unternahm meine erste Raubfliegen-Exkursion in das Naturschutzgebiet Augustdorfer Dünenfeld. Es grenzt an den Truppenübungsplatz Stapel und besteht aus Kiefernwäldern und einzelnen Heideflächen. Das Gebiet ist durch zahlreiche Wanderwege erschlossen. Anfang Mai entdeckte ich an einem sandigen Wegrand den Grauwicht. Diese zierliche Raubfliege saß unauffällig an sonnigen Stellen in Bodennähe und lauerte auf vorbeifliegende Insekten. Sobald eine kleine Fliege vorbeikam, wurde dieses im Flug erbeutet und nach der Rückkehr zum Ansitz am Boden ausgesaugt.

Die nächste Raubfliegenart, die ich hier wenige Tage später aufspürte, war eine wesentlich imposantere Erscheinung. Es handelte sich um die Gelbe Mordfliege. Mit ihrer dichten, gelb schwarzen Behaarung erinnerte diese große Raubfliege stark an eine Hummel.  Als Ansitz für ihre Jagdflüge bevorzugte sie abgebrochene Zweige und Baumstümpfe an sonnigen Kiefernwaldrändern. Von hier aus erspähte sie vor allem vorbeifliegende Käfer und schreckte auch vor Beutetieren, die ihre eigene Körpergröße übertrafen, nicht zurück. In ihrer Entwicklung ist die Gelbe Mordfliege auf das Vorkommen von Totholz angewiesen. Die Weibchen legen ihre Eier in morsche Baumstümpfe, wo sich die Larven nach dem Schlüpfen von den Larven anderer Totholzbewohner ernähren. Ab Mitte Juli teilte sich die Gelbe Mordfliege ihren Lebensraum mit der gleich großen Zinnobermordfliege. Diese wählte als Jagd­ansitz Kiefernstämme und lauerte dort in einer Höhe von etwa zwei Metern auf Beute, wobei sie eine arttypische vertikale Haltung mit dem Kopf nach unten einnahm. Seit 1922 waren meine Beobachtungen die ersten Nachweise dieser auffälligen Raubfliege in Nordrhein Westfalen. 

Von Juni bis Mitte August war die Sandraubfliege die dominierende Raubfliegenart auf den offenen, vegetationsfreien Sandwegen zwischen den Heideflächen. Etwa alle drei Meter saß ein Exemplar auf dem Sandboden und versuchte, vorbeifliegende Fliegen, Zikaden, Käfer oder Heuschrecken zu erwischen. Überflogen andere Sandraubfliegen den Ansitz ihrer Artgenossen, wurden sie sofort attackiert. Dabei kam es immer wieder zu kurzen Luftkämpfen, die aber meist für die Kontrahenten folgenlos blieben. Auf den nahe gelegenen Heideflächen und Sandmagerrasen fand ich weitere Arten: die Säbelraubfliege, die Seidenraubfliege und die Barbarossafliege.

Vergebliche Suche  

Nachdem ich mir eine entsprechende Erlaubnis eingeholt hatte,  besuchte ich an einem sonnigen Morgen im August die Beweidungsflächen am Güsenhofsee in der südlichen Senne. Dabei handelt es sich um eine Ausgleichsfläche der Stadt Paderborn für unvermeidbare beeinträchtigende Eingriffe in Natur und Landschaft an anderer Stelle. Durch die extensive Ganzjahresbeweidung mit Schottischen Hochlandrindern und Koniks sollen hier 18 Hektar Offenlandflächen dauerhaft erhalten werden und sich zu einem wertvollen Sandmagerrasen entwickeln. Ich hoffte, hier eine unserer auffälligsten Raubfliegenarten aufzuspüren: die Hornissen-Raubfliege. Dieses unverwechselbare Insekt erscheint erst relativ spät im Jahr. Mit einer Körperlänge von bis zu drei Zentimetern ist sie eine der größten Raubfliegen Mitteleuropas. In der Senne wurde sie seit fast einhundert Jahren nicht mehr beobachtet. Durch ihren Entwicklungszyklus besteht eine enge Bindung an Weidetiere. Die Weibchen der Hornissenraubfliege legen ihre Eier in der Nähe von Weidetierkot ab. Nach dem Schlüpfen graben sich die Fliegenlarven in den Boden ein und jagen dort Larven von Dungkäfern und anderen Kot fressenden – koprophagen – Insekten. Man vermutet, dass der intensive Einsatz von Arzneimitteln in der Nutztierhaltung koprophage Insektenlarven durch die Rückstände im Tierkot schädigt und sich dadurch die Nahrungsgrundlage für die Larven verschlechtert. Das könnte eine Erklärung für den starken Rückgang und die zunehmende Gefährdung dieser Raubfliegenart sein. Obwohl ich die Weideflächen intensiv absuchte, entdeckte ich nur einige Exemplare der Gemeinen Raubfliege sowie der Burschen-Raubfliege. 

Eine erfreuliche Entdeckung

Nach Beendigung meiner erfolglosen Suche am Güsenhofsee hatte ich noch etwas Zeit und fuhr auf der Rückfahrt zum Besucherparkplatz am Rande des Naturschutzgebiets Moosheide. Neben dem Parkplatz befindet sich eine umzäunte Weide, auf der von Mai bis Oktober die Senner Pferde grasen. Im Rahmen dieses Beweidungsprojekts untersucht die Biologische Station seit 17 Jahren, wie sich die Vegetationsstrukturen und das Artenspektrum entwickeln und ob sich Pferde dauerhaft für die Pflege dieser nährstoffarmen Offenlandflächen eignen. Gleichzeitig trägt das Projekt zum Erhalt der ältesten deutschen Pferderasse als wertvolles regionales Kulturgut bei. Als ich am Rand der Pferdeweide entlang ging, bemerkte ich einige Meter vor mir ein großes Insekt, das entfernt an eine Hornisse erinnerte. Als es sich gezielt auf einen Dunghaufen setzte, war ich mir sicher, dass es sich um die von mir gesuchte Hornissen-Raubfliege handeln musste. Ich wechselte schnell mein Makroobjektiv gegen ein Teleobjektiv mit längerer Brennweite aus, um auf jeden Fall ein erstes Belegfoto als Nachweis zu bekommen. Nachdem ich eine erste Bildserie fotografiert hatte, schaute ich mir gespannt die Ergebnisse auf dem Kameradisplay an. Bei ausreichender Vergrößerung konnte ich voller Freude erkennen, dass sich meine Vermutung bestätigte: die Senner Pferdeweide bot offensichtlich auch der Hornissen-Raubfliege einen geeigneten Lebensraum. In den nächsten  Tagen nutzte ich die Möglichkeit, das Verhalten dieses Insekts ausgiebig zu beobachten und zu fotografieren. Ich stellte fest, dass sich die Population ziemlich gleichmäßig über die gesamte Weidefläche verteilte. Außerhalb der Umzäunung konnte ich hingegen keine Tiere finden. Als Ansitz für die Jagd wurden überwiegend Dunghaufen genutzt. Die Hornissenraubfliegen erbeuteten hier fast ausschließlich kleinere Dungkäfer der Gattung Aphodius. Schmetterlinge, die an dem Ansitz vorbeiflogen, wurden völlig ignoriert. Einmal wurde sogar ein begonnener Anflug auf einen Tagfalter abgebrochen, ohne dass es einen ersichtlichen Grund dafür gab. Paarungen und Eiablage konnte ich auf meinen Streifzügen ebenfalls mehrfach beobachten. Ende September verschlechterte sich das Wetter und es wurde deutlich kühler. Damit endete auch die Flugzeit der Hornissen-Raubfliege.

Zwischenbilanz

Nach einem Jahr intensiver fotografischer und naturwissenschaftlicher Beschäftigung mit den heimischen Raubfliegen zeichnet sich ab, dass sowohl die Wahl des Themas als auch die Umsetzung als Foto- und Kartierungsprojekt eine gute Entscheidung war. Die Einarbeitung in die Materie war anfangs etwas mühsam, da die morphologischen Unterscheidungsmerkmale der Raubfliegenarten doch unauffälliger sind als bei vielen Schmetterlingen oder Libellen. Ansprechend farbig illustrierte Bestimmungsliteratur fehlt ebenfalls. Mittlerweile habe ich mir jedoch ein solides Grundwissen angeeignet und auch die Abgrenzung von ähnlichen Fluginsekten im Gelände fällt mir zunehmend leichter. Von den 40 Raubfliegenarten, die in Nordrhein Westfalen vorkommen, konnte ich bis jetzt immerhin 22 in der Senne nachweisen. Da aber noch nicht alle interessanten Gebiete untersucht sind, rechne ich künftig mit der Entdeckung weiterer Arten. Einige gute Fotos sind mir in dieser Zeit ebenfalls schon gelungen. Viele neue Bildideen, die im Rahmen des Projekts entstanden sind, warten aber noch auf ihre Umsetzung.

Weiterführende Links

Raubfliegen: 
www.asilidae.de
www.robberflies.info

Naturschutz in der Senne: 
www.bs-paderborn-senne.de

Guido Sachse

Der Gartenbautechniker ist Mitglied der Gesellschaft Deutscher Tierfotografen (GDT) und der Biologischen Station Kreis Paderborn-Senne. Seine bevorzugten Motive – hauptsächlich Insekten, Pflanzen und Landschaften – findet er  überwiegend in seiner Heimat.