Eine unbewohnte Insel mitten in der Großstadt, mit Biber und Eisvögeln, wo Beutelmeisen ihre kunstvollen Nester im Uferdickicht weben und Kormorane und Graureiher sich am reichhaltigen Fischangebot schadlos halten? Klingt doch schon einmal spannend, oder nicht? Für Verena und mich jedenfalls tat es dies und wir beschlossen im Herbst 2019, daraus ein Fotoprojekt, eine Art Spin-Off innerhalb unseres langfristig angelegten Projektes »Wiener Wildnis« zu machen.
Platz für Natur und Erholung
Unter »Insel« stellt man sich – zumal in einem Fluss – womöglich ein sehr überschaubares Terrain vor, das man leicht umrunden kann und wo man früher oder später auf so ziemlich alle tierischen Bewohner stößt. Doch ganz so einfach verhält es sich mit der Donauinsel in Wien nun leider nicht. Zwar ist sie selten breiter als 300 Meter, jedoch 21 Kilometer lang. Die Gesamtfläche beträgt fast vier Quadratkilometer. Ihre Uferstrecke entspricht also ungefähr einem vollen Marathon! Und auch der Begriff »unbewohnt« ist freilich relativ zu sehen. Die Donauinsel entstand in den 1970er Jahren aus dem Aushub des Wiener Hochwasser-Entlastungsgerinnes »Neue Donau«. Was anfangs als reiner Hochwasserschutz geplant war, wurde alsbald von den Wienern zum perfekten innerstädtischen Freizeit- und Erholungsareal umfunktioniert. Der Hochwasserschutz hat natürlich immer noch oberste Priorität, doch wird er nur alle paar Jahre einmal benötigt und die Schleusen zur Neuen Donau geöffnet. Es wird daher nie eine Widmung für Wohnanlagen oder gar Bürohäuser geben, doch kam die Stadtverwaltung dem Wunsch der Wiener nach und schuf jede Menge Freizeit-»Infrastruktur«. Radwege, Spiel- und Sportplätze, ein paar Lokale, einen Wasserskilift und sogar eine Wildwasseranlage für Rafting oder Paddler. Daher: Vom Wunschgedanken eines menschenleeren Naturjuwels kann man sich getrost verabschieden.
Künstliche Naturoase
Aber wie war das mit Biber und Eisvogel? Schon bei den Baggerarbeiten in den 1970er Jahren hatten sich einige engagierte Bauingenieure der Stadt überlegt, wie man einen Teil des ursprünglich hier vorhandenen Überschwemmungsgebietes, samt seinen seltenen Insekten, Vögeln, Amphibien und Reptilien erhalten könne. So konnten einerseits urtümliche Altarme der Donau wie der »Tote Grund« (heute ein Wiener Naturdenkmal und streng geschützt) vor der Zerstörung gerettet werden und andererseits Gelder für die Schaffung künstlicher Biotope – Teiche und Lacken in unterschiedlichen Größen und Ausführungen – freigegeben werden. Diese Biotope wurden aus rein ökologischen Gesichtspunkten geschaffen und waren nie als Badeplätze vorgesehen. Dementsprechend wurden sie uneinsichtig angelegt und mit viel Ufervegetation versehen. Im Laufe der Zeit sind einige dieser Biotope verschwunden, verlandet oder nur noch schwer zu entdecken. Andere wiederum haben sich zu tollen Wildnisgebieten im urbanen Raum entwickelt. Als in den 1990er Jahren ein Donaukraftwerk in Wien errichtet wurde, nutzte man die Gelegenheit zu weiteren »Rückbau-Arbeiten« am ansonsten so monotonen Ufer der Insel. Und zwar wurden entlang des über 20 Kilometer langen Donau-Ufers, das sich durchs gesamte Stadtgebiet zieht, kleine Nebengerinne, Inseln, Buchten und ein Umgehungsbach der Kraftwerks-Staumauer errichtet. Mit Ausnahme von zwei ursprünglichen Donaualtarmen ist die Insel also eine rein künstlich gestaltete Landschaft. Jedoch auch eine, die von der Natur entlang weiter Strecken zurückerobert werden durfte. Auch diese letzten großen Arbeiten sind nun über 20 Jahre her und es ist immer wieder faszinierend (und auch Hoffnung spendend!), wie schnell die Natur ein ihr überlassenes Areal in Wildnis verwandeln kann – wenn sie denn darf. Im Jahr 2021 stellt die Donauinsel, mit all ihren Wäldchen, Teichen, Brutwänden, naturnahen Wiesen und verschiedensten Uferabschnitten eine grüne »Brücke« zwischen großen Aulandschaften im Norden Wiens bei Klosterneuburg und dem Nationalpark Donau-Auen dar. Letzterer beginnt direkt am östlichen Ende der Insel.
Mit dem Foto-Kajak unterwegs
Parallel zu Badeplätzen, Partyzonen und Sportplätzen existiert auf der Donauinsel eine Tierwelt, die vielen wertvollen Naturschutzgebieten weit außerhalb der Stadt in nichts nachsteht. Als Naturfotograf kann man mittels drei verschiedener U-Bahn Linien hierher gelangen oder gleich gemütlich von zu Hause aus mit dem Fahrrad starten, um selbst die entlegenen Bereiche dieser langgezogenen Insel zu erreichen. Wir haben oftmals unser kleines »Foto-Kajak« eingesetzt: Ein Ultimate FX 12 der Firma Native Watercraft. Diese Kajaks wurden eigentlich konzipiert, um darin bequem Angeln zu können und sind daher so stabil, dass man recht mühelos darin aufrecht stehen kann. Jahrelang habe ich so ein Boot in den Zypressensümpfen in Louisiana benutzt, den extrem bequemen Sitz mit hoher Lehne genossen und mir dann selbst eines in Deutschland besorgt. Zum einen braucht man sich nicht sorgen, dass es zu kippelig ist, zum anderen passt es perfekt aufs Dach unseres kleinen Stadtautos. Fotografie aus dem Kajak macht nicht nur Spaß, der niedrige Blickwinkel ermöglicht recht spannende Aufnahmen, etwa wenn man einem Biber »ins Auge sieht«. Das sei nicht erwähnt, weil man uns so ein Boot gesponsert hat (leider nein!), sondern weil es eben nicht nur auf Kamera, Objektiv oder Stativ ankommt, wenn es um das Umsetzen von Fotoprojekten geht.
Schwimmendes Tarnzelt
Und noch ein anderes Stück »Equipment« kam uns bei der Arbeit in und am Wasser ganz besonders gelegen: Ein schwimmendes Tarnzelt. Freilich gibt es viele Fotografen, die in mühseliger Arbeit so etwas basteln. Eine Weile hatten wir das auch angedacht. Meist muss man diese Dinger dann vor Ort mühselig aufbauen, aufblasen oder was auch immer. Und überhaupt: Ich habe in Sachen Heimwerken zwei linke Hände. Wir haben uns daher den Luxus gegönnt, ein »Floating Hide« von der gleichnamigen österreichischen Firma zu besorgen. Luxus sage ich nicht deswegen, weil sie drinnen sogar einen Getränkehalter vorgesehen haben, sondern weil die nicht unbedingt billig sind. Man muss sich also schon überlegen, ob es sich rentiert. Fakt ist jedoch: Die sind gemessen an ihrer Robustheit überraschend leicht, man kann sie problemlos ein paar hundert Meter, je nach Fitness ein paar Kilometer, zur gewünschten Location tragen, um sie dort in Sekundenschnelle aufzubauen. Fotografie von Wasservögeln oder Säugetieren aus so einem Tarnversteck ist ein besonderes Erlebnis, unabhängig von den Ergebnissen. Watstiefel seien dabei auch ans Herz gelegt. In den Urlaub nimmt man so ein Teil womöglich nicht mit – für eine Fototour in der Stadtnatur ist das jedoch kein Aufwand. Weil es auch in der Naturfotografie immer um das Erlebnis gehen sollte, seien in diesem Beitrag weniger die Kameras und unsere verwendeten Objektive und deren Charaktereigenschaften beschrieben, als die besonderen »Extras« wie Boot und Tarnzelt. Klar, wir haben im Zuge der Fotografie zu unserem Buch jede Menge (Nikon-) Objektive benutzt, Weitwinkel (-Zooms), Makros, Tele-Zooms von 14mm über 105 mm (Makro) bis maximal 500mm, Stative, Lichtschranken und Fernauslöser. Wenn mehr Brennweite notwendig war, mussten wir eben so manches Bild für das Buch beschneiden. Ist angesichts der üppigen Auflösung einer D850 kein Problem…
Naturerlebnis Donauinsel
Etwa ein Jahr fotografische Arbeit steckt in unserem Buch über die Donauinsel, jede Jahreszeit wurde einmal intensiv fotografiert. Es war das perfekte Fotoprojekt in einem Jahr, in dem coronabedingt das Reisen weitgehend unmöglich war. Unseren fotografischen Schwerpunkt haben wir in erster Linie darauf gelegt, das »Naturerlebnis Donauinsel« zu präsentieren. Es ging uns vor allem um die breite Palette der Tier- und Pflanzenwelt, eher weniger um das detaillierte Porträt spezifischer Arten. Wir wollen Lust darauf machen, welche Chance wir Wiener hier haben, selbst in der Großstadt Natur zu sehen, zu beobachten und zu fotografieren und dabei auch ein echtes Naturerlebnis zu empfinden. Sei es beim Beobachten von Eisvögeln oder beim Fotografieren von Wasserläufern, wenn man bis zur Brust im Wasser steht. Letzteres war übrigens wesentlich unterhaltsamer! Überhaupt war es ein großer Spaß, frühmorgens mit dem Kajak loszuschippern und im Morgennebel Uferabschnitte zu erkunden, die man zu Fuß nicht erreicht. Und all das keine 20 Minuten von uns zu Hause – mitten in Wien. So seltsam es klingt, die Donauinsel war uns eine Saison lang ein nahezu adäquater Ersatz für etwaige exotische Fotoziele. Im Rahmen des Projektes »Wiener Wildnis« haben wir es fast immer »anders herum« gemacht und den Spannungsbogen von Stadt und Tierwelt möglichst in jedem Motiv betont. So spannend dies für uns (auch nach wie vor) ist, etwa Füchse auf Baustellen oder Wildkaninchen zwischen Eisenbahnschienen zu dokumentieren, das Erlebnis während der Arbeit ist meist stressig und hat mit »draußen« in der Natur zu sein, so gar nichts zu tun. Es ist Arbeit. Menschen auf ein Naturerlebnis in der Stadt aufmerksam zu machen, hat für uns jedoch sehr wertvolle Aspekte. Entgegen weitverbreiteter Annahmen ist es nicht notwendig einen Nationalpark oder ein sonstiges Naturschutzgebiet aufzusuchen, um zu schönen Naturfotos zu kommen. Viele dieser geschützten Naturjuwele leiden am Besucherdruck, besonders jene, die in Ausflugsweite für Großstädter sind. Indem mehr Menschen auch die Natur schätzen, die es im urbanen Ballungsraum zu erleben gilt, kann man sensible Gebiete entlasten. Auf der Donauinsel ist es eher so, dass die Tiere »zu uns« kommen, weil wir Menschen es ihnen hier recht schön eingerichtet haben. Im Gegenzug sind sie unserer Präsenz gegenüber sehr entspannt. Nicht Mensch erobert hier die Natur, sondern Natur erobert die Großstadt.