Planktonium


Winzige Wunder unter Wasser

von: Jan van IJken
Sowohl in den Meeren, als auch in Süßgewässern tummeln sich Tausende von Tier- und Pflanzenarten, die man normalerweise nicht zu Gesicht bekommt – weil diese Wesen schlicht zu  winzig sind, um sie mit bloßem Auge zu erkennen. Plankton ist  die Sammelbezeichnung dieser Organismen, die im freien  Wasser leben und dort mit den Strömungen umhertreiben.  Für das Gesamtöko­system Erde ist das Plankton von immenser  Bedeutung. Nicht zuletzt deshalb lohnt es, sich näher mit  ihm zu befassen. Der niederländische Fotograf und Filmemacher Jan van IJken zeigt die Schönheit dieser mikroskopisch kleinen  Tiere und Pflanzen in grandiosen Nahaufnahmen. 


Dies ist eine kleine Vorschau zu Jan van IJkens Film »Planktonium«, der in voller Länge als Video-on-demand via Vimeo erhältlich ist:
Planktonium (Jan van IJken)

 

Seit ich Plankton-Organismen zum ersten Mal unter dem Mikroskop gesehen habe, bin ich von diesen winzigen Lebewesen fasziniert. Ihre filigranen Strukturen, bizarren Formen und Farben sind atemberaubend. Oft sind sie durchsichtig, sodass man ihre inneren Organellen und Körperteile in Funktion beobachten kann.

Basis aller aquatischen Ökosysteme 

Phytoplankton (pflanzliche Einzeller und Mikroalgen) sind die Primärproduzenten der Ozeane und produzieren schätzungsweise die Hälfte des gesamten Sauerstoffs auf der Erde. Dazu nutzen sie – genau wie Pflanzen und Bäume an Land – den Prozess der Photosynthese. Das herbivore Zooplankton – winzige, meist mehrzellige Organismen – ernährt sich vom Phytoplankton und ist der Hauptkonsument in den Meeren. Diese kleinen Pflanzenfresser werden wiederum von größeren, räuberischen Zooplanktonarten wie Ruderfußkrebsen und Krebslarven gefressen. Sie bilden die Grundlage des aquatischen Nahrungsnetzes, sodass es ohne Plankton überhaupt weder Fische noch Wale gäbe. 

Einige Organismen leben seit Millionen von Jahren in unveränderter Form auf der Erde oder waren sogar Ausgang für wichtige evolutionäre Entwicklungen wie die Cyanobakterien, die die Verwertung des Sauerstoffs »erfunden« haben und noch immer in unseren Gewässern vorkommen.

Plankton spielt eine enorm wichtige Rolle im globalen Kohlenstoffkreislauf und für das Klima der Erde. Das Plankton ist jedoch durch den globalen Klimawandel, steigende Meerestemperaturen, veränderte Meeresströmungen und die Versauerung der Meere bedroht. Diese Veränderungen haben Folgen für die Fülle, die Verteilung und die Saisonalität des Planktons. Dies kann große Auswirkungen auf das marine Nahrungsnetz, die Ökologie unseres Planeten und auf uns selbst haben.

Die Plankton-Organismen sind extrem zahlreich. In sogenannten Blüte-Phasen sind sie sogar vom Weltraum aus sichtbar! Dennoch sind sich nur wenige Menschen dieser Lebewesen bewusst, da sie für das bloße Auge unsichtbar sind. Nur durch ein Mikroskop können sie beobachtet werden. Dann aber entdeckt man ein unbekanntes Universum voller fremdartiger Lebewesen. Genug Gründe für mich, drei Jahre lang an einem Kurzfilm und einer Fotoserie über diese unbekannte Welt zu arbeiten.

Beschaffung der Motive

Um die Organismen zu sammeln, bin ich mit meinem Planktonnetz nach draußen gegangen. Ich nahm Proben in allen möglichen Gewässern in den Niederlanden, z. B. in kleinen Süßwasserteichen in den Dünen, in Kanälen, Seen und natürlich in der Nordsee, die nur eine halbe Stunde von meinem Haus entfernt ist. Jedes Gewässer ist ein eigener Lebensraum, mit jeweils perfekt an seine Umgebung angepassten Organismen. Ich war jedes Mal überrascht über meine Funde, denn die Welt des Planktons ist so unglaublich vielfältig. Oft fand ich Arten, die ich noch nie gesehen hatte.

Wieder zu Hause angekommen, begann ich, meine Proben mit Hilfe eines Stereomikroskops zu untersuchen. Interessante Organismen entnahm ich mit einer Pipette und gab sie in einem Tropfen Wasser auf einen Objektträger unter ein Deckglas. Ich fügte etwas Vaseline hinzu, um den Druck zu verringern. Alle grundlegenden Techniken habe ich in einem Mikroskopie-Club hier in den Niederlanden gelernt, dem Nederlands Genootschap Voor Microscopie (NGVM). Ich kann jedem empfehlen, Mitglied in einem solchen Verein zu werden, weil man so viel voneinander lernen kann.

Fotografische Technik

Die fertige Probe legte ich unter mein Lichtmikroskop und begann zu fotografieren und/oder zu filmen. Ich arbeite mit den Kleinbildsystemkameras Sony A7RIII und A7SII. Der Sensor dieser Kameras ist sehr lichtempfindlich, sodass man auch bei wenig Licht fotografieren kann, ohne dass starkes Rauschen den Bildeindruck stört. Der Sensor der A7RIII hat eine höhere Auflösung (42,4 Megapixel) als die A7SII (12,2 Megapixel) und die Dateien lassen sich entsprechend stärker vergrößern.

Mit der A7RIII war es mir möglich, Videos, Fotos, Focus Stacks und Zeitraffer zu machen ohne die Kamera wechseln zu müssen. Als Mikroskop verwendete ich ein Leica DM-Modell. Ich filmte und fotografierte fast alles mit Dunkelfeldbeleuchtung (eine bekannte mikroskopische Beleuchtungstechnik, die einen dunklen Hintergrund erzeugt). Dies ergibt den besten Kontrast und sorgt in der gesamten Sequenz für die gewünschte Einheitlichkeit. Außerdem wird dadurch der Eindruck einer Weltraumreise durch ein unbekanntes Universum verstärkt. Ich habe bewusst auf zusätzliche Techniken wie Polarisation oder Fluoreszenz verzichtet, weil ich alle Farben so natürlich wie möglich wiedergeben wollte. Die natürlichen Farben sind meiner Meinung nach bereits atemberaubend.

Ich wollte die Plankton-Wesen wirklich als lebenden Organismus darstellen, ein Hauptansatzpunkt im Film. Um dies zu erreichen, habe ich manchmal Zeitrafferaufnahmen gemacht. Mit dieser Technik konnte ich auch die Bewegung von Organismen wie Diatomeen und Desmiden zeigen. Normalerweise sieht man diese Bewegungen nicht, weil sie zu langsam sind, um sie in konventioneller Weise zu filmen. Der andere Teil des Filmmaterials besteht hingegen aus »normalen« Videoaufnahmen. Da ich immer mit denselben Kameras arbeite, gibt es keinen Unterschied in der Bildqualität.

Die Aufnahmen, die im Bildband veröffentlicht wurden, entstanden aufgrund der geringen Schärfentiefe bei den großen Abbildungsmaßstäben meist mit Hilfe von Focus Stacking. Bei dieser Technik werden mehrere Aufnahmen mit unterschiedlicher Fokussierung zu einem Bild mit erweiterter Schärfentiefe kombiniert.

Alle Bilder habe ich im Raw-Format aufgenommen, um eine möglichst hohe Bildqualität zu erzielen und bei der Nachbearbeitung viel Spielraum zu haben. Aufgrund der dadurch recht großen Bilddateien erforderte dies jedoch auch eine Investition in eine große Anzahl von Festplatten. Das Videomaterial wurde in 4K gedreht, was dem verbreiteten Übertragungsstandards entspricht, auch wenn in der Praxis die Full HD-Auflösung normalerweise ausreicht. Das bedeutete leider, dass ich das Material, welches ich in der Anfangszeit in Full HD gedreht hatte, nicht mehr verwenden konnte.

Film und Bildband entstehen

Am 31. Dezember 2020 beendete ich die Dreharbeiten und begann mit der Bearbeitung. Das war wegen der großen Menge und Vielfalt des Bildmaterials keine leichte Aufgabe. Es bedeutete endloses Auswählen und dabei auch zwangsläufig das Verwerfen einiger meiner Lieblingsaufnahmen. Der Film war am Ende 15 Minuten lang. Ich habe immer noch eine Menge interessantes Bildmaterial, das ich später anderweitig verwenden kann, z. B. für die Lizenzierung von Filmmaterial an Fernsehsender. Der Schnitt basiert hauptsächlich auf Form, Farbe und Rhythmus, ein bisschen wie abstrakte Kunst; langsames Kino. Metje Postma hat mir sehr geholfen, im Endschnitt alles an die richtige Stelle zu bringen, denn nach so vielen Stunden Schnitt entsteht eine Art Blindheit für das eigene Bildmaterial. Sie prägte auch den Titel »Planktonium« für den Film.

Ich wollte keinen Kommentar oder Voice-Over im Film, weil ich es spannender finde, den Zuschauer auf eine Entdeckungsreise in diese unsichtbare Welt mitzunehmen und etwas der Fantasie zu überlassen. Ich sehe meinen Film eher als Kunstfilm denn als Lehr- oder Wissenschaftsfilm, obwohl er auch so verwendet werden kann. 

Was den Ton betrifft, so wusste ich von Anfang an, dass ich keine Musik in dem Film haben wollte, sondern Unterwassergeräusche. Ich habe im Internet recherchiert und bin dabei auf Jana Winderen gestoßen, eine norwegische Tonkünstlerin, die sich seit über 20 Jahren auf Unterwassertonaufnahmen mit Hydrophonen spezialisiert hat. Sie sah meine Bilder und war sofort bereit, eine Soundkomposition für meinen Film zu machen. Eine großartige Zusammenarbeit, wie ich finde, denn Bild und Ton passen perfekt zusammen.

Im Sommer 2022 bot der Terra Verlag in den Niederlanden an, einen Bildband über »Planktonium« zu produzieren. Die internationale Veröffentlichung des Buches wird Anfang 2023 erfolgen. Der Bildband kann hier bestellt werden.

Der Film wurde auf vielen internationalen Filmfestivals gezeigt und vom Museum De Lakenhal in Leiden, NL, erworben. Auf dem Internationalen Naturfilmfestival Włodzimierz Puchalski in Łódź, Polen, wurde er mit dem Preis für die beste Kameraarbeit ausgezeichnet.

Die Fotoserie wurde in vielen internationalen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht, z. B. im National Geographic Magazine NL, New Scientist und Oceanographic Magazine. Sechs Fotos wurden für den prestigeträchtigen Wildscreen Panda Award in der Kategorie Fotostory, nominiert.

Jan van IJken
ist Filmemacher und Fotograf im niederländischen Leiden und arbeitet an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft. Sein Interesse gilt der Mikroskopie, der Natur und verschiedenen Aspekten der Biologie.  In früheren Jahren veröffentlichte er drei Bildbände zu sozial-dokumentarischen Themen. Mit feinem Gespür für Licht und Komposition hat er sich auf autonome Langzeitprojekte spezialisiert. Seine Arbeiten wurden international veröffentlicht und ausgezeichnet. | www.janvanijken.com