Makro mal anders


Das Laowa 4/15 mm Makro in der Praxis

Der chinesische Hersteller Venus Optics ließ im vergangenen Jahr mit einem 60 mm Makro aufhorchen, das einen maximalen Abbildungsmaßstab von 2:1 erlaubte. Mit dem Laowa 4/15 mm Makro stellten die Chinesen ein noch ungewöhnlicheres Makroobjektiv vor. Es lässt sich bis zum Abbildungsmaßstab 1:1 einstellen, kann zudem als „normales“ Superweitwinkel verwendet werden und bietet als Dreingabe noch eine Shift-Option.

Als ich im Sommer beim morgendlichen Durchsehen der einschlägigen Webseiten über das Laowa 4/15 mm-Makroobjektiv „stolperte“, wollte ich zunächst nicht glauben, was ich da sah: 15 mm – Makro – Vollformat-tauglich – Abbildungsmaßstab 1:1 – und Shift-Option – zu einem moderaten Preis von etwa 480 €. Eine wirklich erstaunliche Kombination von Eigenschaften. 
An Makroaufnahmen mit dem Weitwinkel versuche ich mich immer wieder, experimentiere dazu mit umständlich adaptierten dünnen Zwischenringen und mag den im Vergleich zu herkömmlichen  Makroaufnahmen gänzlich anderen Look. Mit solch einem Objektiv hätte das Adaptergefummel ein Ende. Ich wollte es haben – unbedingt! Leider hat bislang hierzulande noch kein Händler das exotische Makro im Angebot und so musste ich es direkt beim chinesischen Hersteller Venus Optic ordern. Der hat seinen Sitz im hierzulande unbekannten Hefei im Osten Chinas. Die entsprechende Webseite allerdings ist in verständlichem Englisch verfügbar und so war das dann schnell erledigt. Nach drei Wochen kam eine Nachricht vom Zoll, der das Paket zurückgehalten hatte, weil man der sehr niedrigen Wertangabe des Versenders offenbar nicht vertraute. Rund 80 € Zollgebühr wurden daher noch fällig, aber dann konnte ich das ungewöhnliche Objektiv gespannt nach Hause tragen.


In der Hand

Der erste Eindruck war vielversprechend. Der Tubus ist aus Metall gefertigt. Der Fokussiering läuft weich und mit dem für präzises Fokussieren nötigen Widerstand. Die Blende lässt sich stufenlos zwischen f/4 und f/32 einstellen und der Blick bei geschlossener Blende durchs Objektiv zeigt eine wirklich kreisrunde Öffnung. Vierzehn Lamellen machen das möglich. Seitlich angebracht ist ein kleiner Hebel, mit dem die Shift-Funktion bedient wird. Sechs Millimeter kann man das Objektiv nach oben und unten shiften. Der Hersteller weist allerdings daraufhin, dass die Funktion dank des gegenüber dem Kleinbildformat  kleineren Bildkreises nur mit APS-C-Sensor-Kameras zufriedenstellend funktioniert. 
Trotz des mit 110 Grad riesigen Bildwinkels ist das Objektiv kompakt. Die Frontlinse ist nur leicht gewölbt und so steht der Verwendung von Filtern (77 mm-Gewinde) nichts entgegen. Eine Streulichtblende ist im Lieferumfang enthalten. Für Makroaufnahmen wird man sie aber tunlichst in der Fototasche belassen, denn beim maximalen Abbildungsmaßstab von 1:1 befindet sich die Frontlinse nur 0,49 cm (!) vor dem Motiv. 
Nicht unerwähnt bleiben soll, dass es sich um ein rein mechanisches Objektiv handelt. Es erfolgt daher keinerlei Kommunikation mit der Kamera. Man fotografiert entsprechend entweder im manuellen Modus oder mit Arbeitsblende und Zeitautomatik


Praxis

Nach den Trockenübungen wollte ich meine neue Errungenschaft natürlich schnell in der Praxis ausprobieren. Blümchen im Garten  waren die ersten Motive und es zeigte sich schnell, dass man schon sehr darauf achten muss, das Motiv nicht mit der Frontlinse zu berühren. Bei Blumen ist das noch unkritisch, aber Schnecken oder feuchte Pilze würden sicher unschöne Spuren auf der Linse hinterlassen. Schon der erste Eindruck war aber insgesamt ermutigend. Die Schärfe in der Bildmitte war bereits bei offener Blende gut, fokussieren mit dem weich laufenden Einstellring ging leicht von der Hand. Der Verstellweg zwischen Unendlich und der Naheinstellgrenze beträgt rund 90 Grad. Könnte für meinen Geschmack noch etwas mehr sein, ist aber – insbesondere, wenn man die Lupen-Funktion im LiveView-Modus zur Hilfe nimmt – praxistauglich. Videofilmer werden sich über die stufenlose Blendeneinstellung freuen, die ich aber auch beim Fotografieren mag. Es fällt so leicht, exakt soweit abzublenden, wie es das Motiv erfordert.
In der Folge konzentrierte ich mich auf Motive ohne Fluchtdistanz – Pflanzen und vor allem Pilze. Letztere wachsen ja oft am Waldboden. Um bei der so häufig notwendigen Froschperspektive „stürzende Linien“ zu minimieren, kommt die Shift-Funktion des Objektivs gerade recht. Das Einstellen ist etwas fummelig, klappt aber mit einiger Übung dann doch recht gut. Wie erwähnt, empfiehlt der Hersteller diese Funktion eigentlich nur in Verbindung mit APS-C-Sensor-Kameras, nutzt man aber nicht den gesamten Verstellweg von sechs Millimetern aus, beschränkt sich auf drei oder vier Millimeter, sind die Ergebnisse aber auch bei Verwendung von Kameras mit Kleinbildsensor gut. Gerade im Makrobereich spielt die dann in den äußeren Bildecken bei Blenden von f/4 bis f/8 deutlich abfallende Schärfe keine Rolle. Abgeblendet auf f/16 kann man bei vielen Motiven, auch bei Landschaften, selbst an „Vollformatkameras“ den Shiftbereich voll nutzen. Wichtig dabei ist es allerdings, die Sonnenblende abzunehmen, denn die wird sonst im Bild sichtbar. Schade ist lediglich, dass man nur im Querformat shiften kann, aber eine drehbare  Optik wie bei „richtigen“ Shiftobjektiven wäre – angesichts des Preises – sicher etwas viel verlangt.
Auffällig war die Verlängerung der Brennweite im Nahbereich. Ab etwa 17 cm Einstellentfernung bemerkt man, wenn man näher fokussiert, im Sucher einen Zoomeffekt. So dürfte der effektive Bildwinkel beim maximalen Abbildungsmaßstab eher dem eines 24 mm-Objektivs (rund 80 Grad) entsprechen.  
Praktisch fand ich, dass man problemlos Filter einsetzen kann. Sowohl Pol-, als auch Verlaufsfilter verursachten keine Vignettierung. Andere Extremweitwinkel erfordern oft besondere Adapter oder haben sehr große Filtergewinde

Abbildungsqualität

Die Abbildungsqualität gibt wenig Anlass zur Kritik. Zwar ist der Schärfeabfall zum Rand bei offener Blende deutlich, bei Makromotiven spielt das jedoch oft keine Rolle. Schon bei f/8 verbessert sich das aber merklich und zwischen f/11 und f/16 erhält man Bilder mit guter Schärfe über das gesamte Bildfeld. Schön ist das Bokeh. Aufgrund der kreisrunden Blende äußerst weich und harmonisch, bleibt es auch abgeblendet sehr ruhig. Die Verzeichnung ist angesichts des großen Bildwinkels gering (leicht tonnenförmig) und das gilt auch für die chromatische Aberration. Die Vignettierung ist schon bei offener Blende gering und ab f/8 praktisch komplett verschwunden.


Fazit

Wer auch im Nahbereich ungewöhnliche Standpunkte und Perspektiven sucht, sollte das Laowa 15 mm-Makro in Betracht ziehen. Gute mechanische und optische Qualität, ein moderater Preis und die vielseitigen Einsatzmöglichkeiten in der Makro- und Landschaftsfotografie sprechen für das einzigartige Weitwinkelmakro. Bleibt zu hoffen, dass sich bald ein heimischer Händler um die Einfuhr kümmert, um den umständlichen Bestellweg zu verkürzen.

Hans-Peter Schaub
www.hanspeterschaub.de