Crossings


… wenn Naturfotografie zu einer Art von Widerstand wird

von: Niall Benvie
Niall Benvie beschreibt die Ideen, die seinen jüngsten Arbeiten – Crossings – zugrunde liegen und macht sich Gedanken über die Glaubwür­digk­eit des Unvollkommenen.

Ich mag die Vorstellung, mit meiner Kamera in der Hand etwas Schönes zu erschaffen, das zuvor nicht da war. Das ist ein Privileg aller Fotografen – auch wenn sie nicht immer Gebrauch davon machen. Die meisten Bilder, die ich aufnehme, verdienen allerdings nicht einmal einen zweiten Blick. Wenige gefallen mir. Noch weniger gefallen auch anderen und vermögen es dann in der Folge eine Verbindung zwischen Motiv und Betrachter herzustellen. Als Führer von Fototouren konnte ich immer wieder die intensive Freude einiger Menschen während des Fotografierens beobachten. Andere, wie ich selbst, freuen sich mehr über die Bilder selbst – insbesondere, wenn sie unter großen Mühen entstanden sind. Gleichwohl genieße ich die Momente – oder Minuten – der Erhabenheit, wenn mich das Bild, das ich im Sucher sehe, verzückt. Für diesen Augenblick wird dessen Rahmen zur Grenze der Welt und wir vergessen alles um uns herum. Im alltäglichen Leben gibt es wenig, was ein solches Maß von Konzentration erzeugt, uns mit solcher Kraft in seinen Bann zieht, wie die freudige Erwartung, den Auslöser zu betä­tigen.
Es ist daher nur natürlich, dass wir diese Augenblicke wiederholen möchten, um unseren internen Belohnungsmechanismus zu bedienen. So fühlt es sich in der Tat an. Allerdings erscheint die wundervolle Einfachheit der Begegnungen, jene Momente, in denen unser Leben das des Motivs kreuzt, verletzlich. Ursache dafür ist der entstehende Drang, Dinge wiederholbar, vorhersehbar, normgerecht zu machen. Das wiederum beraubt den erhabenen Moment seiner »Wildheit« und ersetzt ihn durch etwas, das auf den ersten Blick dasselbe ist, allerdings seinen Ursprung in unserem Verstand und nicht in der wilden Natur hat – etwas, dem die Glaubwürdigkeit fehlt.
Genau diese Herangehensweise sicherte mir freilich für viele Jahre den Lebensunterhalt – ich machte Bilder, die Erwartungen an eine natürliche Umwelt erfüllten (oder zumindest zeigten, wie sie sein sollte) und nicht notwendigerweise, wie diese tatsächlich war. Produktivität siegte über Realität. 

Im Grunde ist nichts Verwerfliches an den Dutzenden von Tricks, derer sich Tierfotografen bedienen, um ihre Chancen zu erhöhen, wie Sitzwarten, Vogeltränken oder Futterstellen. Aber mit wachsendem kollektiven Überdruss angesichts der resultierenden Perfektion (warum sollten wir sonst Fotos eines tauchenden Eisvogels überblättern?), reifte in mir die Erkenntnis, dass es diese besondere Qualität von Flüchtigkeit und Unvorhersehbarkeit ist, welche Arbeiten auszeichnet, die Bestand haben. Es ist Jim Brandenburgs spontane Fotografie eines wilden Wolfs, der hinter einem Baum hervorspäht, die zur Ikone wurde, nicht all die in der Folge entstandenen Nachahmungen. Das Bild ziert sein Buch »Bruder Wolf«, das beim Tecklenborg Verlag erhältlich ist.

In seinem Buch »Time for Wolves« über die Wölfe im italienischen Apennin beschreibt der italienische Fotograf Bruno D’Amicis (www.brunodamicis.com/wolves.phtml), wie er vorging: »Ich versuchte zunächst, die Häufigkeit meiner Begegnungen zu erhöhen, um sicherzustellen, dass der Wolf sich zeigen würde, wo und wann ich es wollte, aber das hat nicht geklappt. So habe ich meine Strategie geändert … [und] widmete viel mehr Zeit der Suche.« Letztendlich arbeitete Bruno sechs Jahre an dem Projekt und resümiert: »… trotz hunderten von Touren in das Gebiet traf ich die Wölfe nur bei einigen, dann allerdings unvergesslichen Gelegenheiten.«
Hier kann man in der Tat von Bildern sprechen, die ihm gegeben wurden, die er sich nicht nehmen musste. Viele der Aufnahmen in Brunos Buch entstanden unter nicht perfekten Lichtbedingungen, in einigen Fällen sind die Tiere teilweise verdeckt oder der Bildaufbau ist nicht makellos. Das aber sind Merkmale, welche die Qualität der Arbeit nicht schmälern, sondern vielmehr die Wirkung insgesamt steigern. Das ist die Glaubwürdigkeit des Unvollkommenen, die vermittelt, wie Natur tatsächlich ist. 

Etwas Vergleichbares ist auch in Tom Mangelsens Buch  »Spirit of the Rockies« zu erkennen, seinem Buch über eine Puma-Familie, die im Winter 1999 oberhalb von Jackson Hole, Wyoming den Winter verbrachte. Am eindrucksvollsten ist das aber in Hannu Hautalas Bild eines Vielfraßes in der Abenddämmerung in einem nebligen Wald zu sehen, das in seinem 1993 erschienen Buch »Winter on the Finnish Taiga« zu sehen war. In diesem Bild, aufgenommen auf hochempfindlichem Diafilm, entfaltet das Tier, obwohl nur undeutlich und klein im Bild zu erkennen, eine geradezu elektrisierende Präsenz – umso fesselnder, weil auch ohne ausführliche Erläuterung klar ist, um was es sich handelt und was es bedeutet. Das Bild vermittelt etwas vom Mysterium und der Erregung, die wir vielleicht eher mit Fotos von Big Foot, dem Mokele Mbembe oder dem Yeti in Verbindung bringen. Einmal mehr steht die Begegnung an sich im Vordergrund.
Sie mögen sich durchaus zurecht fragen, warum es eine Rolle spielt, wie Sie zu Ihrem Bild gelangen, wenn Sie am Ende mit dem Ergebnis zufrieden sind. Ich glaube, dass es deshalb von Bedeutung ist, weil die Art und Weise, wie wir unsere natürliche Umwelt in Bildern wiedergeben, etwas über unsere Beziehung zu ihr aussagt. Wenn wir unsere Bilder über die unterschiedlichsten Kanäle veröffentlichen, zeigt das auch, wie wir möchten, dass andere darüber denken.
Nun muss ich aber meine Karten auf den Tisch legen. Ich schätze das Leben, seine Wildheit und Vielfalt mehr als Geld. Ich gehe davon aus, dass Sie ähnlich empfinden. In der Realität sind wir jedoch alle Teil einer Kultur, die auf den gegenteiligen Voraussetzungen basiert. Gewalt gegen die natürliche Umwelt, gegen indigene Völker und lokale Kulturen, sogar gegen die Erdatmosphäre, wird letztendlich durch wirtschaftliches Wachstum legitimiert.
Natürlich ist es einfach anzunehmen, dass sich das Leben verbessert, wenn man das »Warenhaus« der Natur plündert – fragen Sie einfach mal die 500 Millionen Menschen, die durch den industriellen Boom in China aus der Armut befreit wurden.
Aber während wir Mutter Erde überholen und dabei hämisch grinsend über die Schulter zurückschauen, bemerken wir den Sumpf nicht, auf den wir geradewegs zulaufen. Nun sieht es so aus, als sei sie bereit, uns unsere Unverschämtheiten heimzuzahlen.
Sie und ich sind Künstler und als solche verfügen wir nicht über die Gabe, die Einstellungen jener zu ändern, die uns – in scheinbar weltweiter Absprache – auf diesem Weg des Hasses auf das Leben vorantreiben. Wenigstens in unserer Arbeit aber können wir kleine Akzente des Widerstands setzen, indem wir Bilder machen, die eine andere Realität widerspiegeln, weit weg von der »realen Welt«, die von Ökonomen und ihren seelenlosen Gefährten heraufbeschworen wird. 
Dies kann ganz einfach geschehen, indem wir Bilder machen, die Transzendenz – Erhabenheit – widerspiegeln und die natürliche Welt so zeigen, wie sie ist, und nicht ein kommerzialisiertes und geschöntes Abziehbild. Das heißt selbstverständlich nicht, dass es dabei keinen Interpretationsspielraum gibt. Viele der Bilder von »Crossings« zeugen von meinem Interesse an hochenergetischen Motiven und Umgebungen; von tobendem Meer und wogenden Wolken bis hin zu Vögeln im Flug und der Sonne selbst. Andere muten eher düster an und reflektieren die Zukunftsperspektiven der abgebildeten Motive für die kommenden Jahrzehnte.
Die Ausbeutung von Rohstoffen und die Umweltverschmutzung, die bei der Herstellung meiner Ausrüstung entsteht, die ich verwende, um »wilde Natur« zu zeigen – ganz zu schweigen von den damit verbundenen Reisen – stehen eindeutig im Widerspruch zu diesen edlen Absichten. Aber es gibt Schlimmeres als ein Idealist zu sein und Aufzeichnungen darüber hinterlassen zu wollen, die vermitteln, wie wild die vom Menschen unberührte Natur aussah. Es gibt schlechtere Waffen als eine Kamera, so vergeblich ihre Verwendung am Ende auch sein mag.

Niall Benvie
Der Schotte arbeitet seit mittlerweile 25 Jahren als Naturfotograf, -autor und -führer. Mit seinen innovativen Arbeiten liefert er immer wieder Denkanstöße. Er war zudem an internatio­nalen Foto-Initiativen wie »Wild Wonders of Europe« oder »Meet your Neighbours« beteiligt. Niall hat bislang fünf Büchern über Naturfotografie und Naturgeschichte verfasst und hunderte von Artikeln in Fach­magazinen veröffentlicht. Zusammen mit seiner Frau Charlotte bietet er Fototouren an und arbeitet zur Zeit an »Photographic retreats« – Tour-Angeboten nahe seiner »Post-Brexit-Basis« in Zentral­frankreich. www.niallbenvie.com, Instagram: @niallbenvie