Reiz der Unendlichkeit


Die Milchstraße fotografieren

von: Delil Geyik
Wandert die Sonne im Frühling langsam hinter den Horizont und die Welt wird in sanfte Dunkelheit getaucht, beginnt eine magische und spannende Zeit für Foto­grafen. Denn das Zentrum der Milchstraße taucht ab Ende März zunehmend gut sichtbar wieder am Horizont der Nordhalbkugel auf. Bei diesem Anblick durch die Natur zu marschieren, um Unendliches und Faktisches gleichermaßen auf Fotos festzuhalten, ist ein mystisches, unbeschreibliches Gefühl, das Sie unbedingt erleben sollten, meint Delil Geyik. 

Lichtverschmutzung und Mondphase

Für die nächtliche Himmelsfotografie ist Lichtverschmutzung natürlich ein großes Hindernis. Daher ist ein Himmel mit möglichst geringer Lichtverschmutzung eine der wichtigsten Voraussetzungen, um die Milchstraße beobachten zu können. Um geeignete Gebiete und die optimale Zeit zu ermitteln, hilft Ihnen die App »PlanIt Pro«. Sie liefert Ihnen ein Bild der vom US-amerikanischen Amateurastronomen John E. Bortle entwickelten und nach ihm benannten Bortle-Skala, welche das Ausmaß der Lichtverschmutzung nach verschiedenen Kriterien kategorisiert und informiert Sie präzise, wann die Neumond-Phase beginnt. Denn auch der Mond ist ein wichtiges Kriterium. Er streut – insbesondere bei Vollmond – viel »Kunstlicht« und reduziert die Sichtbarkeit der Milchstraße deutlich. Um sich noch besser zu orientieren, können Sie spezielle Astronomie-Software nutzen. Das Programm »Stellarium« beispielsweise, mit seiner Datenbank von circa 600.000 Sternen ermöglicht es, die Milchstraße als Ganzes und einzelne Sterne, aber auch Deep-Sky-Objekte gezielt zu orten.

Wann ist die Milchstraße sichtbar?

Der deutlich ausgeprägte Teil der Milchstraße, also das Milchstraßenzentrum, ist zwischen März und September zu beobachten – das gilt insbesondere für die nördliche Himmelsphäre. Wie lange sie über dem Horizont steht, ist vom jeweiligen Längen- und Breitengrad des Standortes abhängig. Die beste Beobachtungszeit der Milchstraße ist im Sommer: Dann zieht sie sich wie von Norden nach Süden über den nächtlichen Himmel. In Begleitung des Milchstraßen-Bandes sind dann auch die Sternenbilder Perseus, Kassiopeia, Schwan, Adler und Schütze zu beobachten.

Die Ausrüstung

Kamera | Sie werden bei dieser Art der Fotografie mit hohen ISO-Werten arbeiten. Daher sollte die Kamera über ein akzeptables Rauschverhalten verfügen. Es gilt: Je geringer das Rauschen, umso mehr Details bleiben im Bild sichtbar. Für fortgeschrittene Astrofotografen kann auch eine für die Astrofotografie modifizierte Kamera eine Option sein. Canon bietet mit der EOS Ra ein ab Werk angepasstes Modell. Verschiedene Firmen wie www.astroshop.de bieten an, Kameras entsprechend zu modifizieren. Die unmodifizierten Systemkameras bringen für die Astrofotografie einen Nachteil mit sich: Bei der in der hier besonders wichtigen H-Alpha-Spektrallinie ist ihre Empfindlichkeit aufgrund des üblicherweise eingebauten IR-Sperrfilters nur sehr gering. Der rote Spektralbereich wird dadurch stark gedämpft bzw. unterdrückt. Modifizierte Kameras sind daher im Rotbereich erheblich empfindlicher.
Lichtstarkes Objektiv | Um einen möglichst großen Bereich des Nachthimmels auf den Bildsensor bannen zu können, benötigen Sie ein lichtstarkes Weitwinkel-Objektiv. Durch die Erdrotation »wandern« die Sterne scheinbar über den Nachthimmel und somit ist, wenn man Sternenspuren vermeiden und die Sterne tatsächlich punktförmig abbilden will, die mögliche Belichtungszeit begrenzt. Ein weitwinkliges Objektiv lässt neben einem größeren Ausschnitt der Milchstraße auch eine vergleichsweise lange Belichtung zu. Hier gilt: Je kürzer die Brennweite, desto länger können Sie belichten. Das gleiche Prinzip gilt auch für die Blende: Je kleiner die Blendenzahl ist, beziehungsweise je größer die Blendenöffnung ist, desto mehr Licht kann auf den Sensor fallen und somit können Sie die Belichtungszeit kürzer halten.
Stativ | Um bei Nacht knackscharfe Bilder auf den Sensor Ihrer Kamera zu bannen und Verwacklungen zu verhindern, ist ein stabiles Stativ unabdingbar. 
Fernauslöser – Selbstauslöser | Ein Fernauslöser ist von großem Vorteil. Steht keiner zur Verfügung, nutzen Sie den Selbstauslöser der Kamera, eingestellt auf zwei Sekunden Vorlaufzeit.
Stirnlampe | Nutzen Sie als Arbeitsbeleuchtung nur Rotlicht. So müssen sich Ihre Augen nicht immer wieder an den Wechsel zwischen Helligkeit und Dunkelheit gewöhnen. Viele gute Stirnlampen bieten dieses Ausstattungsmerkmal, auf das Sie beim Kauf achten sollten.
Ersatz-Akkus | Denken Sie auch an Ersatz-Akkus. Es kann nicht schaden, alle vorhandenen Akkus einzupacken. Tipp: Tragen sie die Akkus bei kalten Nächten nicht im Fotorucksack, sondern nah am Körper, um sie vor vorzeitiger, kältebedingter Entladung zu schützen.
Speicherkarte | Es sollten ausreichend Speicherkarten eingepackt werden. Bei der Vorbereitung daran denken, dass die Karten auch wirklich leer und einsatzbereit sind. Sicher ist sicher! 
Kleidung | Packen sie warme Kleidung ein – nicht nur im Winter und Frühjahr. Nachts kann es sehr kalt werden und unser Körper kühlt ohne Bewegung schnell aus.

Kamera-Voreinstellungen

Spiegelvorauslösung | Um auch die kleinste Verwacklung in der Kamera zu vermeiden, schalten Sie – sollten Sie eine Spiegelreflexkamera besitzen – immer die Spiegelvorauslösung ein.
Bildstabilisator ausschalten | Wenn Ihr Objektiv oder der Kamerabody über einen Stabilisator verfügt, schalten Sie diesen immer aus, sobald Sie vom Stativ fotografieren.
Rauschunterdrückung | Die kamerainterne Rauschunterdrückung macht nach dem eigentlichen Foto noch ein »Dunkelbild« mit der gleichen Belichtungszeit und sorgt so – je nach Belichtungszeit – für eine lange Wartezeit, bis Sie wieder starten können. Ich empfehle, diese Art der Rauschunterdrückung auszuschalten, da die Astrofotos ohnehin bezüglich des Rauschens nachbearbeitet werden.
Autofokus | Schalten Sie den Autofokus immer aus und fokussieren Sie manuell, denn nur so haben Sie die Kontrolle über den Fokuspunkt des Bildes.
Raw | Am Rohdatenformat führt kein Weg vorbei. Im Raw-Format aufgenommene Fotos bieten einen deutlich größeren Dynamikumfang und es bleiben sämtliche Informationen erhalten. Somit können Sie im Nachhinein ohne Qualitätseinbußen Farben, Kontraste, Helligkeiten, Tiefen, Sättigung und Schärfe verändern.

Die Milchstraße fotografieren

Fokussieren / LiveView | Wir möchten knackscharfe Fotos von Sternen erhalten. Das gelingt nur durch manuelles Fokussieren. Schalten Sie die LiveView-Funktion ein, suchen Sie sich anschließend einen hellen Stern. Wenn dieser anvisiert ist, vergrößern Sie das Bild mit der Lupen-Funktion im LiveView-Modus bis zum Maximum. Nun drehen Sie den Fokusring bis unendlich. Über das Display werden Sie beobachten können, dass die Sterne kleiner werden. Das ist genau der richtige Weg zum gewünschten Ergebnis. Nun bewegen Sie den Fokusring so lang, bis die Sterne nicht mehr kleiner und auch nicht wieder größer werden. Dort liegt die richtige Schärfe. Lassen Sie sich ruhig Zeit. Mit etwas Übung funktioniert das irgendwann binnen Sekunden.
ISO | Fangen Sie am besten mit ISO 3.200 an. Bei dieser Empfindlichkeit liefern praktisch alle aktuellen Systemkameras ordentliche Resultate mit vergleichsweise geringem Bildrauschen. Je nachdem, wie sich die ISO mit den anderen Kameraeinstellungen verträgt, können Sie den Wert in der Folge noch entsprechend anpassen.
Blende | Sie dürfen kein Licht verschenken. Daher benutzen Sie die größte Blendenöffnung, die das verwendete Objektiv bietet.
Weißabgleich | Lassen Sie den Weißabgleich ruhig auf Automatik stehen. Im Grunde genommen ist ein Weißabgleich bei der Aufnahme nicht relevant. Da wir grundsätzlich im Raw-Format fotografieren, können wir diesen später in der Nachbearbeitung beliebig anpassen.
Verschlusszeit | Wie schon erwähnt, ergibt sich die maximale wählbare Verschlusszeit aufgrund der Sensorgröße und der jeweiligen Brennweite. Daher gibt es zwei Optionen: Entweder Sie probieren ver­sschiedene Varianten und arbeiten sich mit der Belichtungszeit langsam hoch oder Sie verwenden eine einfache Faustregel, die es Ihnen direkt ermöglicht, die Sterne punktförmig abzubilden.

Die Rechenformel 
Kleinbild | 500 : Brennweite = max. Belichtungszeit
APS-C | 300 : Brennweite = max. Belichtungszeit
Das heißt zum Beispiel: 
• 500 : 24 mm = 21 Sekunden (Kleinbild) 
• 500 : 50 mm = 10 Sekunden (Kleinbild) 
• 300 : 24 mm = 13 Sekunden (APS-C) 
• 300 : 50 mm = 6 Sekunden (APS-C)

Über die Wahl der Blende und der ISO-Empfindlichkeit stellen Sie Ihre Kamera dann so ein, dass maximal die über die genannte Formel errechnete Belichtungszeit zustande kommt. 
Die sehr umfangreiche Planungs-App Photopills  enthält unter anderem einen sehr praktischen Rechner, der unter Berücksichtigung von Sensorgröße und -auflösung die jeweils optimale Belichtungszeit für die verwendete Kamera und Brennweite berechnet und dabei auch erlaubt, die noch präzisere NPF-Regel zugrunde zu legen. Auch die Milchstraße lässt sich mit dieser App lokalisieren.

Damit sind die Grundlagen geschaffen und nun bleibt lediglich, eine klare Nacht in einem von Lichtsmog möglichst weitgehend verschonten Gebiet abzuwarten.

Delil Geyik
…bereist mit seiner Kamera die halbe Welt, um Landschaften unter einem prächtigen Sternenhimmel zu fotografieren. Sein tief­greifendes Wissen über die Astrofotografie, Sterne und die unendlichen Weiten des Alls hat sich Delil über viele Jahre autodidaktisch angeeignet. Sein Wissen vermittelt er nun in zahlreichen internationalen Work­shops an die Teilnehmer. Der in Stuttgart lebende Fotograf hat dafür schon viel Aufmerksamkeit von der inter­nationalen Fachpresse bekommen. www.instagram.com/delil.geyik