Gelungenes Zwischending


Die Canon EOS 90D in der Praxis

Rund vier Jahre hat die EOS 80D mittlerweile auf dem Buckel und die EOS 7D Mark II ist sogar schon seit knapp sechs Jahren auf dem Markt. Im Segment der professionellen oder halbprofessionellen DSLRs mit APS-C-Sensor hat sich bei Canon in den letzten Jahren also nicht wirklich viel getan. Mit der 90D kommt nun aber ein Modell, das zumindest von der Papierform beide Modelle in vielen Belangen überflügelt. Hans-Peter Schaub hat Canons derzeit leistungsfähigste APS-C-DSLR ausprobiert.

Wie es mit Canons APS-C-Spiegelreflexkameras weitergehen sollte, war lange Zeit Gegenstand unterschiedlichster Spekulationen. Kommt noch eine Nachfolgerin der mittlerweile sechs Jahre alten 7D Mark II, wird die 80D noch ein Update erfahren oder wird Canon beide Modellreihen in einem Modell zusammenführen, das dann unterschiedlichen Ansprüchen gerecht wird? Die Antwort auf alle Gerüchte und Annahmen lautet EOS 90D und man darf davon ausgehen, dass eine 7D Mark III damit ziemlich unwahrscheinlich geworden ist. Stattdessen ist zu erwarten, dass die spiegellosen Systeme, allen voran das R-System, in den kommenden Jahren den Löwenanteil am Entwicklungsbudget erhalten werden. Für alle aber, die nach wie vor der DSLR den Vorzug geben, auch weil sie über mehr oder weniger viele Objektive mit EF-Bajonett verfügen, bietet Canon mit der EOS 90D nun eine vielseitige Kamera, die technisch auf dem neuesten Stand ist.

In der Hand

Rein äußerlich muss man schon sehr genau hinschauen, um Unterschiede zur EOS 80D zu erkennen. Die offenbaren sich erst beim Blick auf die Rückseite. Wo bei der 80D der Knopf fürs Quick-Menü (Q) zu finden war, ist nun (endlich wieder) der Joystick für die Direktanwahl der Autofokus-Felder montiert. Der war mit Einführung der 60D aus der »zweistelligen« EOS-Linie verschwunden. Für nicht wenige Naturfotografen, die neben einem (bis auf die 6D immer mit Joystick ausgestatteten) Vollformatmodell eine schnelle und dank des kleineren Sensors im Telebereich sehr vorteilhafte APS-C-DSLR einsetzen wollten, blieb daher nur die vergleichsweise schwere 7D bzw. 7D Mark II. Nun ist er also wieder da, der Joystick, und so lässt sich auch die neue APS-C-EOS weitgehend so handhaben, wie die EOS 5D- oder die EOS-1D X-Modelle. Der mit der 60D eingeführte 8-Wege-Multicontroller im hinteren Einstellrad ist auch an der 90D noch zu finden, so dass Fotografen, die den von den Vorgängermodellen gewohnt sind, keine Umstellungsprobleme haben werden. Gegenüber der 80D ist die Q-Taste nun auf die Position des Wiedergabe-Knopf rechts über dem Einstellrad gewandert. Wiedergabe- und Löschtaste befinden sich unter dem Einstellrad. 
Insgesamt ist das Bedienkonzept der EOS 90D sehr ausgereift und sowohl Fotografen, die schon länger mit Canon-Kameras vertraut sind, als auch Einsteiger werden mit der Kamera schnell klarkommen. Hinsichtlich der Individualisierung der Bedienelemente bietet die 90D deutlich weniger Spielraum als etwa die Kameras von Olympus oder Sony. Einen echten Nachteil allerdings vermag ich darin nicht zu erkennen. 
Die Kamera liegt dank großem Griffwulst sehr gut in der Hand – auch wenn große Objektive montiert sind. Das Gehäuse ist aus Polycarbonat gefertigt, basiert aber auf einem Metallchassis. Dadurch ist es relativ leicht, fühlt sich aber dennoch solide an. Die Abdichtung gegen Staub und Spritzwasser ist allerdings im Vergleich zur 7D Mark II oder der 5D Mark IV deutlich sparsamer ausgefallen. Das Speicherkartenfach ist nicht abgedichtet und auch am Akkufach soll lediglich eine dünne Moosgummi-Auflage das Eindringen von Feuchtigkeit verhindern. Gleichwohl hat die Kamera in den mittlerweile knapp fünf Monaten seit ich sie verwende, einige heftige Regenschauer unbeschadet überstanden. 
Trotz Verwendung des gleichen Akkus wie die 80D (und 5D Mark IV, 6D Mark II sowie EOS R) wurde die Zahl der Aufnahmen pro Akku-Ladung erheblich gesteigert. Nach CIPA-Norm sind es nun 1.300 (gegenüber 960 bei der 80D). In der Praxis aber sind durchaus gut 1.800 Aufnahmen möglich, wenn man den optischen Sucher und die Serienbildschaltung nutzt. Bei ausschließlicher LiveView-Nutzung reduziert sich die Zahl der Aufnahmen natürlich erheblich.

Sucher und Display

Der optische Sucher zeigt rund 100 Prozent des Bildausschnitts bei 0,95facher Vergrößerung. Damit ist das Sucherbild etwas kleiner als bei eine EOS5 D Mark IV, aber dennoch angenehm groß und auch mit Brille gut zu überblicken. Bei Bedarf lässt sich neben einem Gitterraster auch eine dezente Wasserwage einblenden.
Das 3 Zoll-Touchdisplay ist seitlich ausschwenkbar und um 180° zu drehen. Bei dieser Bauweise ist die Verwendung von Winkelschienen leider etwas eingeschränkt, dafür aber kann man das Display eben auch von vorne einsehen und in kritischen Situationen zur Kameraseite umklappen und so schützen. Die Touchfunktionalität ist sehr gut implementiert und erlaubt es die Kamera praktisch komplett über das Display zu bedienen. Die Auflösung von 1,04 Mio. Bildpunkten ist praxistauglich und entspricht dem, was vergleichbare Kameras bieten.  

Serienbilder

Mit bis zu 10 Bildern pro Sekunde bei Unterstützung des kontinuierlichen AF ist die EOS 90D sehr flott und auch der Pufferspeicher dürfte den meisten Anforderungen gewachsen sein – vorausgesetzt, man verwendet eine schnelle UHS-II-kompatible SD-Karte, die dafür sorgt, dass die Daten möglichst flott aus dem Puffer abfließen können. Nutzt man das unkomprimierte Raw-Format, so sind bis zu 25 Bilder in Folge möglich. Wem das nicht genügt, der sollte das komprimierte Raw-Format C-Raw verwenden. Die dabei entstehenden Dateien sind üblicherweise etwas mehr als halb so groß (rund 24 MB gegenüber durchschnittlich um die 42 MB beim unkomprimierten Raw) und die durch die Komprimierung entstehenden Qualitätsverluste so gering, dass man sie in der Regel kaum wahrnehmen wird. Mit C-Raw konnte ich, je nach Motiv und ISO-Einstellung, bis zu 77 Bilder in Folge schießen, durchschnittlich waren um die 50 Bilder in Folge möglich. Bei actionreichen Tier- oder Sportmotiven verwende ich daher das C-Raw-Format, bei Landschafts- und Makrofotos hingegen, wo Geschwindigkeit meist nicht kritisch ist, stelle ich das unkomprimierte Raw-Format ein, das meines Erachtens ein kleines bisschen mehr Spielraum im Dynamikumfang bietet. 
Neben der maximalen Bildfrequenz steht noch eine langsame Serienbildfunktion mit etwa 3 Bildern/sec sowie eine ungefähr gleich schnelle »Leise Reihenaufnahme« zur Auswahl. Letztere klingt zwar gegenüber den »normalen« Auslösegeräuschen hörbar gedämpft und daher stelle ich sie eigentlich auch immer ein, wenn mir diese Serienbildrate genügt, richtig leise aber ist die Kamera dabei nicht. Tatsächlich lautlos lässt sich bei Verwendung des elektronischen Verschlusses im LiveView-Modus fotografieren, allerdings nur Einzelbilder. Im LiveView-Modus erreicht die 90D ansonsten bis zu 7 Bilder/sec mit kontinuierlichem AF und auch hier ist, trotz der geringeren Frequenz, der Puffer nach rund 25 Bildern im unkomprimierten Raw-Format voll. In C-Raw passen dann wieder rund doppelt so viele Aufnahmen in den Speicher. 

Autofokus

Wie bei der 80D verfügt der über den optischen Sucher nutzbare Phasendetektions-AF über 45 Kreuzsensoren und deckt horizontal rund 62 sowie vertikal rund 48 Prozent des Bildausschnitts ab. Mit einer Empfindlichkeit von bis zu -3 LW ist automatisches Fokussieren selbst bei Vollmondlicht noch möglich. Der Dual Pixel CMOS-AF im LiveView-Modus ist mit bis -5 LW sogar noch empfindlicher. Er deckt 100 Prozent des Bildfeldes horizontal und 88 Prozent vertikal ab. Ein auf 220.000 Pixeln basierendes Belichtungsmesssystem sorgt dafür, dass die Kamera auch bei Verwendung des optischen Suchers eine Gesichtserkennung für die Fokussierung nutzen kann, was reinen Naturfotografen allerdings keine Vorteile bringt. Im LiveView-Modus ist sowohl eine Gesichts- als auch eine Augenerkennung verfügbar, die sehr zuverlässig funktioniert – aber leider nur bei Menschen.
Bewegen sich die Motive mehr oder weniger parallel zur Sensorebene, dann stehen die Chancen bei Verwendung des optischen Suchers gut, mit der Serienbildfrequenz von 10/sec rund 100 Prozent scharfe Bilder zu erzielen. Anders sieht das aus, wenn Vögel wie etwa Gänse auf den Fotografen zufliegen. Dann hat der AF mitunter Mühe, mit der hohen Bildfrequenz Schritt zu halten. Die Trefferquote sinkt so zuweilen unter 60 Prozent. In Serien sind dann immer wieder unscharfe Ausreißer zu finden. Das ist so gut wie nie der Fall, wenn man anstelle des optischen Suchers den LiveView-Modus nutzt. Die Trefferquote ist dann zuverlässig stets nahe 100 Prozent, allerdings bei dann maximal 7 Bil­dern/sec. Das reicht zwar in vielen Fällen aus, allerdings ist es doch ziemlich unhandlich, mit langen Telebrennweiten aus der Hand das Display als Sucher zu verwenden. 
Anders als die 7D Mark II oder 5D Mark IV verfügt die 90D nicht über ein eigenes AF-Menü mit voreingestellten Szenarien. Stattdessen sind die Einstellungen über mehrere Custom-Menü-Punkte verteilt und ich habe einige Zeit gebraucht, bis ich den AF so konfiguriert hatte, dass ich einigermaßen zufrieden war. 
Makro- ebenso wie Landschaftsfotografen werden sich über die Focus Bracketing-Funktion freuen. Serien von bis zu 999 Aufnahmen mit jeweils geringfügig abweichender Fokussierung lassen sich so schießen, die dann entweder mit Canons Digital Photo Professional oder mit Spezialprogrammen wie Helicon Focus zu Bildern mit großer Schärfentiefe (Focus Stacking) verrechnen lassen. Die Konfiguration ist einfach und die Funktion ließ sich auch problemlos mit »Fremdobjektiven« wie dem Tamron 2,8/90 mm Makro verwenden

Bildqualität

Der neue 32,5 Megapixel-Sensor ist hinsichtlich der Auflösung derzeit das Maß der Dinge im APS-C-Bereich. Er überzeugt nicht allein durch seine vielen Pixel, sondern liefert einen beachtlichen Dynamikumfang und zeigt auch bei hohen Empfindlichkeiten bis ISO 6.400 nur geringes und homogen verteiltes Rauschen. Anders als mitlerweile viele andere Hersteller montiert Canon einen Tiefpassfilter vor den Sensor, vermeidet damit Moirée-Bildungen, ohne dass der Eindruck entstünde, Schärfe und Auflösungsvermögen würden signifikant leiden. Unterbelichtete Bilder lassen sich um bis zu vier Lichtwerte aufhellen, ohne dass das mit einer deutlichen Zunahme des Rauschens »bezahlt« werden müsste. So kann man kontrastreiche Motive oft auch ohne HDR in nur einem Bild zufriedenstellend einfangen. Jenseits ISO 6.400 nimmt das Rauschen merklich zu. Bis ISO 12.800 bewegt sich das noch in einem gut beherrschbaren Rahmen. Bei ISO 25.600 muss man dann schon kräftige Abstriche bei Detailreichtum, Tonwertumfang und Sättigung machen. Die maximale Empfindlichkeit von ISO 51.200 ist meines Erachtens nicht brauchbar.

Fazit

Die EOS 90D bietet – abgesehen vom erheblich verbesserten Sensor – gegenüber dem Vorgängermodell eine Reihe Verbesserungen, die in der Praxis Bedeutung haben. Zu nennen sind da die hohe Bildfrequenz mit AF-Unterstützung, der deutlich verbesserte LiveView-AF, der Joystick zur direkten AF-Feldwahl, die Focus Bracketing-Funktion sowie die erheblich verbesserte Energieeffizienz. Auf die Video-Eigenschaften konnte ich im Rahmen dieses auf die Fotofunktionen beschränkten Tests nicht eingehen, will aber dennoch die 4K-Auflösung ohne Beschnitt sowie die Zeitlupen-Funktion in Full HD-Auflösung (allerdings ohne AF) nennen. Im Vergleich zur 7D Mark II ist das Gehäuse weniger robust, ein integriertes GPS-Modul fehlt, der Sucher ist etwas kleiner und das AF-System etwas weniger leistungsfähig und komplizierter zu konfigurieren. Sowohl hinsichtlich des Sensors als auch im Hinblick auf die vielfältigen LiveView- und Videofunktionen ist die 90D aber dem betagten Profimodell deutlich überlegen. Obwohl beide preislich mittlerweile sehr nahe beieinanderliegen, spricht daher vieles für die EOS 90D. Wem eine Spiegelreflexkamera zu schwer ist, der kann alternativ zur spiegellosen EOS M6 Mark II greifen, die hinsichtlich der Ausstattung – mit Ausnahme des optischen Suchers – weitgehend das Gleiche im noch leichteren Gehäuse bietet. EF-Objektive müssen dann aber über einen Adapter angeschlossen werden. 

Hans-Peter Schaub
www.hanspeterschaub.de

Canon EOS 90D
Bildsensor: CMOS-Sensor (22,5 x 15 mm), 6.960 x 4.640 Pixel, Auflösung (effektiv): 32,5 Mio. Pixel, Pixelpitch: 3,2 µm
ISO: 100 – 25.600 (erweiterbar auf ISO 51.200)
Dateiformate (Bild): Raw (14 Bit), CRaw (Compact Raw), JPEG
Dateiformate (Video): MP4-Video (H.264), 4K-UHD (3.840 x 2.160, ohne Beschnitt) 25/30p, Full HD maximal 120/100p, 4K-Zeitraffer-Aufnahmen
LC-Display: 3 Zoll-LC-Touchdisplay, ca. 1,04 Mio. Bildpunkte, dreh- und schwenkbar um jeweils 180° 
Spiegelreflexsucher: 100 % des Bildausschnitts, 0,95fache Vergrößerung 
Serienbilder: 10 Bilder/sec bei C-AF (durchschnittlich rund 25 Raws oder etwa 60 C-Raws in Folge), 7 Bilder/sec bei C-AF im LiveView-Modus (ca. 25 Raws oder ca. 50 C-Raws in Folge), bis zu 11 Bilder/sec bei S-AF im LiveView-Modus, (ca. 25 Raws in Folge, jeweils mit UHS-II-SD-Karte SanDisk Extreme Pro 300 MB/sec)
Weitere Merkmale: Phasendetektions-AF mit 45 Kreuzsensoren, AF-Empfindlichkeitsbereich -3 bis 18 LW, AF-Hilfslicht (LED), im LiveView-/Video-Modus: Dual Pixel CMOS-AF mit Gesichts- und Augenerkennung, Focus Stacking, WLAN, Bluetooth, Abdichtungen gegen Staub und Spritzwasser, Mikrofon- und Kopf­hörer-Anschluss (3,5 mm), Fernauslöser-Anschluss: 2,5 mm-Klinke, internes Blitzgerät (LZ 12 bei ISO 100), micro-USB, HDMI, Akkugriff BG-E14 als Zubehör verfügbar, Akku: LP-E6N 
Speichermedium: 1x SD/SDHC/SDXC (UHS-II) 
Abmessungen: ca. 105 (H) x 147(B) x 77 mm (T)
Gewicht (betriebsbereit mit Akku und Speicherkarte): 
ca. 701 Gramm  
Straßenpreis: ca. 1.300 € 

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